Es gibt Themen, die von Lehrkräften angesprochen werden müssen. Ungleichheit und Machtverhältnisse sind unglaublich schwierige Themen, insbesondere aus einer privilegierten Position heraus. Dennoch ist es wichtig, dass Lernende sehen, dass ihre Lehrkräfte sich der Ungleichheit bewusst sind und diese aktiv ansprechen. Um über Ungleichheit zu sprechen, können Sie Beispiele aus der Geschichte, aktuelle Ereignisse oder hypothetische Szenarien verwenden. Der Einsatz von realen Beispielen, mit denen sich die Lernenden identifizieren können, ist offensichtlich effektiver, da dies ihr Verständnis verbessern und ihnen helfen kann, diese Themen als etwas Aktuelles und Relevantes zu sehen, anstatt sie als Relikte der Vergangenheit zu betrachten (wie es oft bei Problemen, die Frauen betreffen der Fall ist). Wenn sich das Thema Ihres Unterrichts gut dazu eignet, Ungleichheit anzusprechen, ziehen Sie in Betracht, Ihre Materialien zu erweitern, um dieses Thema in die Diskussion miteinzubeziehen, indem Sie relevante Geschichten und Beispiele einbringen.
Was Sie auf jeden Fall vermeiden sollten, ist die Reproduktion von Stereotypen und Ungleichheiten, die Sie ansprechen. Betrachten Sie die beiden folgenden Beispiele:
Beispiel 1
Eine ältere Lehrerin spricht mit einer Klasse junger Erwachsenen über Misogynie. Sie präsentiert ihnen Stereotype über Frauen, von denen sie glaubt, dass sie angesprochen und widerlegt werden müssen. Doch die Lernenden wirken verwirrt: Sie scheinen diese Stereotype noch nie zuvor gehört zu haben. Man hört einige Lernende in der Klasse kichern. Ein Lernender denkt: „Hey, da könnte ein Fünkchen Wahrheit in dem sein, was sie gerade gesagt hat“, und ignoriert dabei völlig die Versuche der Lehrerin, die eingeführten Stereotype zu widerlegen. Andere Lernende beginnen, weitere frauenfeindliche Stereotype über Frauen zu äußern. Die weiblichen Lernenden sehen unwohl und verärgert aus.
Hier haben wir ein Beispiel für die unabsichtliche Reproduktion von Stereotypen im Klassenzimmer. Die Lehrerin ist selbst eine Frau, höchstwahrscheinlich eine Feministin und ihre Absichten waren unbestreitbar gut. Vielleicht hat sie all die negativen Dinge, über die sie spricht, selbst erlebt und wollte der neuen Generation von Frauen einfach helfen, indem sie diese anspricht. Aber wo ist es schiefgegangen?
Stereotype entstehen nicht nur, verändern sich und verschwinden, sondern hängen auch vom sozioökonomischen und historischen Hintergrund eines bestimmten Landes oder einer Region ab. Stereotype über weiße Frauen werden sich von Stereotypen über Frauen of Colour unterscheiden, ebenso wie Stereotype über Frauen aus verschiedenen sozialen Schichten (daher der intersektionale Ansatz). Sie werden auch von Land zu Land unterschiedlich sein. Die Stereotype, die ältere Menschen haben, werden sich von denen der jüngeren Menschen unterscheiden, weil diese in unterschiedlichen historischen Kontexten aufgewachsen sind. Daher sollte man nicht davon ausgehen, dass du und deine Lernenden die gleichen Vorurteile teilen. Sie so auszudrücken, wie es die Lehrerin in unserem Beispiel getan hat, lässt vergessene Stereotype in den Köpfen der Menschen wieder aufleben.
Eine bessere Idee wäre es, den Lernenden eine Aufgabe oder eine Situation zu präsentieren, die ihr tatsächliches Denken aufzeigt, etwas, das potenziell ihre Weltanschauung irritieren könnte. Zum Beispiel ein Text, der subtil Geschlechterrollen unterwandert und den Leser entweder dazu bringt, zu glauben, er wisse schon aufgrund bestimmter Merkmale die Geschlechter der Charaktere, lange bevor sie enthüllt werden. Oder ein Text, der ihn ständig seine Annahmen im gesamten Text hinterfragen lässt, nur um seine Erwartungen am Ende zu untergraben. Dieser Moment der Irritation, verursacht durch diese unterwanderte Erwartung, könnte genutzt werden, um Selbstreflexion bei Ihren Lernenden anzuregen. Die anschließende Diskussion könnte mit folgenden Fragen geführt werden: Was hat dich dazu gebracht, so zu denken? Warum? Spiegelt diese Vorstellung wirklich die Realität wider?
Ein weiterer wichtiger Punkt: Stereotype auf diese Weise anzusprechen und die Menschen dazu zu bringen, kritisch über ihre eigenen Überzeugungen nachzudenken, ist sehr nützlich, aber vergessen Sie nicht, auch die Vertreter der marginalisierten Gruppe, über die Sie sprechen und die in Ihrer Klasse sind, zu empowern! Nun zum nächsten Fall der unabsichtlichen Reproduktion von Stereotypen:
Beispiel 2
Ein Lehrer plant, im Unterricht Asexualität zu thematisieren. Die meisten seiner Lernenden scheinen weder etwas über diese sexuelle Orientierung gehört zu haben noch sich jemals Gedanken darüber gemacht zu haben. Der Lehrer sagt ein paar Worte darüber, was Asexualität bedeutet, und fährt fort, Stereotype über asexuelle Menschen und die Art und Weise, wie sie oft missverstanden werden, zu thematisieren. Später präsentiert er den Lernenden Informationen, die zeigen, warum diese Stereotype unbegründet sind. Die Stunde ist vorbei, und die Lernenden verlassen den Klassenraum. Obwohl der Lehrer sein Bestes getan hat, um die notwendigen Informationen zu vermitteln, können die Lernenden das Gefühl nicht abschütteln, dass Asexualität etwas von Natur aus Merkwürdiges ist. Man hört, wie die Lernenden immer noch über die negativen Dinge diskutieren, die sie über asexuelle Menschen im Unterricht gehört haben.
Hier ist ein weiteres Beispiel für die unabsichtliche Reproduktion von Stereotypen. Die Lernenden wussten nichts über Asexualität: weder die Wahrheit noch die Missverständnisse. Die Diskussion mit der Einführung von Missverständnissen über Asexualität zu beginnen, war weder notwendig noch eine gute Idee: Was man zuerst hört (insbesondere wenn es etwas Negatives ist), bleibt am besten im Gedächtnis haften. Die anfänglichen negativen Assoziationen bleiben bestehen, ganz gleich, was danach kommt.
Der Lehrer hätte die Stunde definitiv mit einer offenen Diskussion beginnen und die Lernenden fragen sollen, was sie bereits wissen, um ihnen dann Informationen über Asexualität und die Erfahrungen asexueller Menschen zu vermitteln. Die Missverständnisse und Fehlinterpretationen, die höchstwahrscheinlich während der Präsentation und Diskussion auftauchen, sollten direkt angesprochen werden. Diese sollten jedoch von den Lernenden selbst kommen, als Ergebnis ihres aktiven Umgangs mit dem neuen Konzept und nicht von Ihnen als Lehrkraft eingeführt werden
Stellen Sie sich vor, es gäbe eine asexuelle Person in dieser Klasse, die sich noch nicht geoutet hat. Wie würde sich diese Person während des Unterrichts oder unmittelbar danach fühlen, wenn sie die Diskussionen ihrer Klassenkameraden hört? Sie würde sich höchstwahrscheinlich unwohl, ausgegrenzt und unsicher fühlen. Als Lehrkräfte wollen wir solche Situationen vermeiden.
Wenn Sie Themen und Fragen ansprechen, die Minderheiten betreffen, ist es wichtig, daran zu denken, dass Sie als Person und als Lehrkraft nicht isoliert existieren und keine vollkommen neutrale Position beanspruchen können. Das bedeutet nicht, dass Sie ein schlechter Mensch sind oder dass Sie diese Themen nicht ansprechen dürfen, es sei denn, Sie gehören selbst zu der marginalisierten Gruppe, über die Sie sprechen möchten. Machen Sie Ihren Lernenden deutlich, dass Sie sich Ihres eigenen Privilegs bewusst sind, und stellen Sie sicher, dass Ihr Wissen und Ihre Quellen von Vertretern der betreffenden marginalisierten Gruppe stammen: Autor*innen, Wissenschaftler*innen, Journalist*innen oder Aktivist*innen. Wenn Sie Vertreter*innen dieser Gruppe in Ihrer Klasse haben, lassen Sie sie wissen, dass Sie nicht behaupten, es besser zu wissen als sie, und dass Sie offen dafür sind, mehr zu lernen.
Leider ist es ein weit verbreitetes Missverständnis, dass das Sprechen über Queerfeindlichkeit, Sexismus, Rassismus usw. zu deren Existenz beiträgt. Mit anderen Worten: Manche Menschen denken, dass diese Dinge verschwinden würden, wenn wir nicht über sie sprechen – was leider ein Wandel ist, der nicht durch Schweigen erreicht werden kann. Einige Lehrkräfte zögern, über Diskriminierung zu sprechen, weil sie nicht wollen, dass ihre Lernenden „herausfinden“, dass es Menschen auf der Welt gibt, die sie aufgrund ihrer Identität möglicherweise nicht mögen. Diese Sorge ist jedoch unbegründet: Für die Lernenden wird dies keine Neuigkeit sein. Ein Problem wird es hingegen definitiv sein, wenn Sie Ihren Lernenden die Möglichkeit verweigern, die Ressourcen, die Stärkung und die Unterstützung zu erhalten, die sie benötigen, um mit den Realitäten umzugehen, in denen wir derzeit leben. Haben Sie keine Angst, diese Themen und Fragen in Ihrem Unterricht anzusprechen – die oben beschriebenen Strategien werden Ihnen dabei helfen.
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